Demokratische Standards und Konflikte in Kulturzentren und unserer Gesellschaft
Ein Statement zur kulturellen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung soziokultureller Orte und Räume zum feministischen Protesttag am 8. März in Leipzig
Der 8. März steht auch aus Sicht soziokultureller Zentren für einen feministischen Protesttag, um die Rechte von Frauen, wie Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen einzufordern – kurzum: All rights for all FLINTAQ*!
Im Jahr 2024 ist weder in der deutschen Gesellschaft noch weltweit eine umfassende Gleichstellung oder Freiheit für alle Lebensentwürfe erreicht. Im Gegenteil: Im Zuge des Erstarkens rechtspopulistischen und rassistischen Gedankenguts sind rückläufige Tendenzen hinsichtlich der Rechte von FLINTAQ* zu beobachten.
In unseren soziokulturellen Zentren und Kulturorten verhandeln wir solche und andere Themen und bieten Räume für Veranstaltungen und Treffen unterschiedlichster Gruppen und Szenen. Wir bieten auch Schutz vor Gewalt und verstehen uns als Möglichkeitsräume für emanzipatorische Ausdrucksweisen und Projekte. Doch aktuell sind wir mit einer politischen Lage konfrontiert, die aus unserer Sicht eine Notwendigkeit erzeugt, sich hier zu positionieren.
Die Situation rund um gesellschaftlich engagierte Gruppen hat zunehmend Auswirkungen auf unsere Arbeit. Um diese Probleme aufzuzeigen und unsere Auseinandersetzung damit auch außerhalb unserer Häuser zu tragen, positionieren wir uns im Folgenden anhand der Entwicklung um das 8. März Bündnis, das unter dem Motto „Feministisch Kämpfen jetzt!“ zu Programm und Protesten rund um den Internationalen Frauentag aufruft und diese Proteste organisiert.
Leider ist dieses Bündnis von problematischen politischen Gruppen geprägt und übernommen worden. Und diese Gruppen prägen massiv das Programm um den zentralen Tag am 8. März. Einige Initiativen haben deshalb zwei neue Bündnisse gegründet und rufen zu einer Demo und einer Kundgebung auf. Andere Strukturen wie die Mühlstraße 14 e.V. oder die Cinémathèque Leipzig haben sich mit ihren Programmpunkten bewusst aus dem Programm zurückgezogen – um nicht mit diesen Gruppen in inhaltliche oder strukturelle Nähe gebracht zu werden.
Roll-Back von Gruppen in der politischen Szene Leipzigs
Doch diese problematischen Gruppen sind nicht erst in diesem Fall aktiv geworden. In Leipzig hat sich in den letzten Jahren leider eine Szene dieser Gruppen entwickelt, die für sich selber in Anspruch nimmt, eine linke, emanzipatorische und solidarische Weltordnung zu vertreten und diese propagiert. Jedoch ist das Gegenteil der Fall. Sie agieren autoritär bis stalinistisch organisiert, orientieren sich an Symbolen und Inhalten einer gewaltvollen Geschichte und sind intransparent in ihren Strukturen. In ihren Inhalten sind viele exklusiv solidarisch, beispielsweise mit palästinensischen Positionen, die bis hin zur Verharmlosung und Verteidigung der Hamas und anderen terroristischen und antisemitischen Gruppen reichen.
Das sind aus unserer Perspektive keine emanzipativen und fortschrittlichen Positionen, weshalb diese auch kein Raum im Rahmen von Demos für einen feministischen 8. März und in unseren Kultureinrichtungen haben sollten. Solche Positionen gehören nicht zum demokratischen Spektrum, mit dem wir verhandeln und diskutieren wollen.
Der 7. Oktober 2023 als ein Wendepunkt für Soziokultur
Dazu kommt, dass dieses Jahr der 8. März auf den 7. Oktober 2023 folgt, dem verheerendsten Angriff auf jüdisches Leben seit 1945. Wir folgen hier einem Teil des Aufrufs des Bündnisses Emanzipatorischer 8. März:
„Der Angriff der radikalislamistischen Terrororganisation Hamas und unterstützenden Vereinigungen auf das Nova-Musikfestival und umliegende Kibbuze war nicht nur ein antisemitischer, sondern auch ein gezielt misogyner Angriff auf Frauen und auf freiheitliches Leben. Die 134 Geiseln, die sich noch immer in Gefangenschaft befinden, – nicht nur die Frauen – sind dieser Gewalt noch immer ausgesetzt. Wir möchten den 8. März nutzen, um die sofortige Freilassung aller Geiseln zu fordern! #bringthemhomenow“
Gleichzeitig wollen wir uns mit den zivilen Opfern in Gaza genauso solidarisch zeigen und unsere Betroffenheit ausdrücken: „Wir fordern ein Ende des Leids der palästinensischen Zivilbevölkerung unter dem Krieg in Gaza und der Herrschaft islamistischer Gruppen und trauern um die bisher über 20.000 getöteten Zivilist*innen. Auch auf palästinensischer Seite sind es vor allem Frauen, die die Leidtragenden darstellen. Wir können kein gemeinsames Ziel mit antiemanzipatorischen Kräften ausmachen, die Zivilist*innen bewusst als menschliche Schutzschilde nutzen.“ Doch solche gemeinsame und geteilte Solidarität ist in Leipzig nicht der Standard.
Kritik an der israelischen Reigerung kann hingegen geäußert werden – genau wie Kritik an der dänischen Regierung, der Regierung von Malaysia, von Australien, der Regierung von Island, Deutschland oder Argentinien. Der einseitige Fokus auf Nahost und Israel ist nicht nur anstrengend, er ist auch problematisch.
Die israelische Regierung unter Nethanjahu ist selbst Teil eines Roll-Backs, der in vielen Gesellschaften zu beobachten ist, nicht nur im sogenannten „Westen“. Dies ist zu thematisieren und zu diskutieren, scharf zu verurteilen. Aber die Beurteilung hört dort auf, wo Doppelstandards gegenüber Israel stark gemacht werden, wo eine Dämonisierung von Israel und den Juden und Jüdinnen erfolgt und eine Delegitimierung der Existenz dieses Staates immer wieder versucht wird. Vor oder nach dem 7. Oktober, wird dieses Existenzrecht nicht verhandelt.
Wir sind sehr irritiert: Wer für Frauenrechte, Rechte von Queers und Transpersonen auf die Straße geht, kann wohl kaum einen Bogen spannen zu antifeministischen und queerfeindlichen Strukturen wie Hamas, Islamischer Djihad, Hisbollah, dem Mullah Regime in Iran etc. Aber genau das passiert auch in diesen Gruppen und damit auch im Bündnis 8. März.
Diese problematischen politischen Gruppen negieren Menschenrechte. Sie schließen Bündnisse mit reaktionären Gruppen in Leipzig und darüber hinaus. Das ist eine Sackgasse in Autoritarismus, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und eine Gesellschaft jenseits von Freiheit und Demokratie, Emanzipation und Empowerment.
Fazit: Soziokultur und Aktivismus in Zeiten multipler Krisen
Die Demokratie steht nicht nur in Deutschland unter Beschuss. „Wir werden zunehmend mit dem Ausmaß an globalen Konflikten konfrontiert. Wir alle spüren die polarisierenden Auswirkungen, nicht nur am Rande der Gesellschaft, sondern auch in ihrer Mitte, derzeit besonders deutlich durch einen alarmierenden Anstieg des Antisemitismus. Die Normalisierung nationalistischer Ideologien im ganzen Land ist besorgniserregend. Ebenso erschreckend ist die Tendenz, nicht demokratische Parteien in Landtage einziehen zu lassen.“ (Ellen Ahbe, Geschäftsführerin Bundesverband Soziokultur)
In Leipzig und in Sachsen sind wir als Gesellschaft und als soziokulturelle Akteure nicht nur mit rassistischen Parteien und neonazistischen Strukturen konfrontiert. Die immer wieder versuchten und erfolgten Übernahmen von Bündnissen, wie zum Beispiel dem Gedenken an die rassistischen Morde in Hanau (im Jahr 2023), die Raum(über)nahme von linken Orten, die Versuche, in unseren Räumen Veranstaltungen durchzuführen oder Kooperationen zu schließen – dies alles gehört zur lokalen Auseinandersetzung in Leipzig und ist eine Herausforderung für uns als kulturelle Akteure.
Denn spätestens mit dem 07. Oktober 2023 hat sich auch eine Neubewertung von demokratischen Handlungsräumen entwickelt. Deshalb ist die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus sowie die Vermittlung in zugespitzten gesellschaftlichen Konflikten dringlicher denn je.
Deshalb meinen wir auch: „Gemeinschaftliche Verortung beginnt an einem gemeinsamen Ort. Soziokulturelle Zentren sind Orte der Selbstermächtigung und des ständigen Dialogs. Als dritte Orte sind sie offen zugänglich für alle und laden ein zu Begegnung und Kommunikation.“ (Ellen Ahbe)
Wir wollen diese Orte sein, wo Konflikte bearbeitet werden, wo es offene und auch geschützte Räume für kontroverse wie konsensuale Auseinandersetzungen gibt. Die Standards unserer Selbstverständnisse und der demokratischen und menschenrechtsorientierten Grundlagen dieser Gesellschaft sind dafür die Basis – und diese sind nicht verhandelbar.
Demokratie und Emanzipation gehören für uns zusammen. Umfassende Rechte von FLINTAQ* gehören zu den Grundbedingungen für das Erreichen eines demokratischen Mindeststandards. Deshalb ist auch in dieser Gesellschaft noch viel zu tun.
Pöge-Haus e.V. und Mühlstrasse 14 e.V.