19. Jahrhundert


„Neuschönefeld existiert seit dem Jahr 1838, allwo der Zimmermeister Wolfgang Schlauchershoch in Volkmarsdorf sich einen Bauplatz kaufte (…). Im Jahr 1843 waren bereits 15 Häuser aufgebaut.“ 
(Moritz Weißbach, 1889)


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Mitte des 19. Jahrhunderts zieht der Eisenbahnbau Investoren in die östlichen Vororte von Leipzig. Sie kauften landwirtschaftliche Flächen auf, verdrängen bäuerliches Leben und errichten am Reißbrett ein dicht bebautes Stadtviertel.
Arbeitsplätze und billige Wohnungen ziehen einfache Leute aus dem Umland und ganz Deutschland in das Viertel um die Eisenbahnstraße. Eisenbahn, Baustellen und Gelegenheitsjobs bieten die Chance zum Aufstieg.
So entsteht eine von Arbeitern geprägte Ankunftsstadt, die bald mit dem nahen Leipzig zusammenwächst. Schlechte Wohnverhältnisse, Prostitution und Jugendbanden sorgen für einen zweifelhaften Ruf. Für viele ist das Viertel nur ein Sprungbrett in ein neues Leben und bessere Viertel der Stadt.

 

24. April 1837: Das erste Teilstück der Leipzig-Dresdner-Eisenbahn von Leipzig nach Althen (10,2 km) wird eröffnet und führt direkt durch die heutige Eisenbahnstraße. Der zeitgenössische Stich zeigt die Bahn vor den Toren Leipzigs. Der Standpunkt ist vermutlich die heutige Ecke Rosa-Luxemburg/Eisenbahnstraße.

Das Direktorium der 1835 gegründeten Leipzig-Dresdner-Eisenbahn-Compagnie, verantwortlich für den Bau der ersten deutschen Ferneisenbahn von Leipzig nach Dresden. Investoren wie Gustav Harkort (vierter von rechts) kaufen dem Rittergut Schönefeld die durch die Eisenbahn landwirtschaftlich wertlosen Flächen ab, um sie für den Wohnungsbau zu nutzen. Wilhelm Einert (vierter von links) und Friedrich Busse (erster von links) sind heute noch in Straßennamen des Viertels präsent.

Noch bis ins Jahr 1906 ist Stannebeins Mühle in Schönefeld in Betrieb. Ihr Abriss im Jahr 1910 ist ein Meilenstein der zunehmenden Urbanisierung, die sich nun auch die Stadtteile im Osten einverleibt. Heute steht auf dem Gelände die Postbank.

1.Karte 1802, Aus: Sächsischer Meilenatlas, Blatt 19, 1802 (Deutsche Fotothek, SLUB).

2.Karte 1864, Aus: Briel, Neuschönefeld, 1999, S.12.

3.Karte 1864, Aus: Briel, Neuschönefeld, 1999, S.12.

Wohnhäuser an der Rietzschke um 1900: Ziel der Stadtverwaltung ist es, möglichst viele Arbeitskräfte auf engem Raum in möglichst kurzer Zeit unterzubringen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten oft zwischen 40 und 65 Personen in einem Wohngebäude.

„Die Bewohner gehörten anfänglich meist der unteren arbeitenden Classe an, die Tags über in Leipzig beschäftigt waren und für welche die Wohlfeilheit dieser Miethwohnungen (18 – 20 Thaler) bei der Nähe der Stadt ein großer Vorteil war.“
Aus: Weißbach, Geschichte der Gemeinde Neuschönefeld, 1889.

„Die Arbeitereltern und die älteren Geschwister hatten ihre Freude an der Kostümierung der Jungen und Mädchen und unterstützten sie nach Kräften. Sie hatten gewiß auch nichts dagegen, daß die zufriedenen Bürger in den ‚Besseren‘ Häusern ein bißchen aufgeschreckt wurden. Selbst die Polizei mischte sich nicht ein. Im Allgemeinen erschien sie sogar dann nicht, wenn es zu Rempeleien zwischen einzelnen Banden kam. Der Obrigkeit waren solche Zusammenstöße wohl nicht unlieb, denn solange unterblieben die Störungen in den kleinbürgerlichen Wohngebieten. In der Tat kam es zu gelegentlichen ‚Schlachten‘. Ja, es fand fast regelmäßig ein Treffen zwischen der Volkmarsdorfer Truppe und der ‚Dimpelei‘ statt. Als ‚Dimpelei‘ bezeichnete man die Dimpfelstraße in Schönefeld, zur damaligen Zeit ein bekanntes Armutsviertel. Die Trupps begegneten sich an der Schönefelder Brücke. Das war die von beiden Seiten nicht zu überschreitende Grenze. In jeder Bande befanden sich ältere Burschen, große kräftige Bengels, die nicht nur mit zerbrechlichen hölzernen Kriegsbeilen bewaffnet waren, sondern auch ansehnliche Knüppel mit sich führten.“
Aus: Arthur Heimburger, Um die Jahrhundertwende. Erinnerungen eines Veteranen, 1977.

Der Gasthof (Postkarte um 1910) wird im Jahr 1882 eröffnet (heute Kindergarten an der Ecke Hermann-Liebmann/Schulze-Delitzsch Straße). Er wird zum wichtigsten Ort für Tanz und Musik sowie politische Veranstaltungen aller Lager in Leipzig-Neustadt. Im Dezember 1943 wird das Gebäude beim alliierten Bombenangriff zerstört.
Aus: Harald Stein, www.wortblende.wordpress.com